Das Interview, vor dem die deutschen Medien Angst hatten.
Bevor ich Ihnen das eigentliche Interview präsentiere, muss ich in einigen Worten die Hintergrundgeschichte erläutern.
Am 4. März erschien im „Tagesspiegel“ ein Interview mit dem polnischen Dichter Adam Zagajewski unter dem Titel „Über die Spaltung der polnischen Gesellschaft“. Zagajewski wiederholt darin die üblichen Vorwürfe mit denen sich Polen in den letzten Monaten konfrontiert sieht. Er beschwert sich, man haben den Polen „das Land gestohlen“ und dass die neue Macht einfach alles haben möchte. Weiters präsentiert Zagajewski seinen Standpunkt als jenen „der Mehrheit der Intelligenz“ in Polen und geht sogar so weit zu sagen, dass es keine polnischen Künstler gebe, die mit der Situation jetzt zufrieden seien.
Das Interview führte der „Tagesspiegel“-Redakteur Gregor Dotzauer. Auch seine Fragen lassen sich nur schwer als objektiv bezeichnen. So meint er beispielsweise, in Polen herrsche ein „vergiftetes Klima, für das vor allem Jarosław Kaczyński (...) verantwortlich ist.“
Mit den im Interview dargestellten Thesen, die als gesichert präsentiert wurden, war ich nicht einverstanden. Ich habe beim „Tagesspiegel“ angerufen und mit Gregor Dotzauer gesprochen. Ich fragte ihn, warum er im Interview nicht nachgehakt habe, wie ein Land gestohlen worden sein kann, wo doch darin legale Wahlen abgehalten wurden. Ist solch eine Einstellung demokratisch? Warum nahm er es hin, als Zagajewski sagte, absolut keine Künstler würden die jetzige Regierung unterstützen? Herr Dotzauer gab an, dass auch ihm keine bekannt seien.
Ich zählte ihm also einige Namen auf, unter anderem Jarosław Marek Rymkiewicz und Jan Pietrzak, die er aber nicht kannte. Zuletzt nannte ich den Namen des Fotografen Adam Bujak. Seine Meinung wäre in der Tat von Gewicht, gab Herr Dotzauer zu.
Sehr gut, sagte ich also, ich werde Ihnen ein Interview mit Adam Bujak schicken, auf Deutsch natürlich. Falls aufgrund von Platzmangel eine Publikation in der Printversion nicht möglich sei, merkte ich an, genüge mir auch eine Publikation auf der Website des „Tagesspiegels“.
Einige Stunden später war das Interview im Posteingang der „Tagesspiegel“-Redaktion. Es dreht sich um den selben Sachverhalt wie das Zagajewski-Interview, zeigt aber eine vollkommen andere Perspektive. Wer beide Interviews liest, kann sich selbst seine Meinung zur Situation in Polen bilden. Das wäre also kritischer Journalismus und wirkliche Meinungsvielfalt.
Drei Tage später antwortete mir der „Tagesspiegel“ – mein Gespräch mit Adam Bujak werde nicht publiziert. Man versicherte mir, dass es nicht darum gehe „keine anderen Meinungen zu Wort kommen zu lassen“, aber es sei eben unglücklich mit einem Interview auf ein anderes Interview zu antworten, noch dazu, wenn das zweite aus Krakau käme...
Das klingt in meinen Ohren sehr nach Ausrede, denn es ist gang und gäbe, dass man mit einem Text auf einen anderen antwortet und Auslandskorrespondenzen sind nicht nur üblich, sondern sogar sehr begehrt.
Ich schickte mein Interview mit Adam Bujak an 15 weitere deutsche Redaktionen (Tages- und Wochenzeitungen, Nachrichtenportale). Keine von ihnen wollte das Interview veröffentlichen. Ist das also der Standard für Pluralismus, Meinungsfreiheit und Demokratie in Deutschland?
Das Interview beleidigt niemanden, ist sachlich und ruhig. Sehen Sie selbst, was kein deutsches Medium zeigen wollte.
Adam Sosnowski
Adam Sosnowski: Herr Bujak, Sie sind ein weltweit angesehener Fotograf, haben über 130 Bücher in 12 Sprachen veröffentlicht und Ihre Bilder wurden in Galerien von New York bis Tokio ausgestellt. Während der Zeit des Kommunismus engagierten Sie sich in die Bürgerrechtsbewegung und haben auf mitunter dramatischen Fotos festgehalten, wie damals Aufstände niedergeschlagen wurden. Jahre später gehen wöchentlich Menschen auf die Straße, um für die Demokratie in Polen zu demonstrieren. Ist diese heute in Polen bedroht?
Adam Bujak: Nein, dafür sehe ich keine Anzeichen. Diese Leute hätten damals versuchen sollen zu protestieren... Ich weiß, was es bedeutet im Gefängnis zu sitzen und geschlagen zu werden als Strafe dafür, dass man wirklich die Demokratie verteidigt. Die nun regierende Partei PiS hat im Frühjahr und im Herbst des vergangen Jahres legale und demokratische Wahlen gewonnen, wenn also jemand behauptet, es gebe keine Demokratie in Polen, dann zweifelt er auch die Legitimität dieser Wahlen an. Aber eben solche Haltungen untergraben wirkliche Demokratie. Leider wird diese Einstellung oft von ausländischen Medien aufgegriffen, die sich wiederum auf die Berichterstattung der polnischen Tageszeitung „Gazeta Wyborcza“ berufen. Diese Zeitung hat ein links-liberales Profil und wurde von der vorherigen Regierung der liberalen PO finanziell unterstützt. Die jetzige Regierung hat in der Tat die 60 Millionen Zloty für Anzeigen in der „Gazeta Wyborcza“ zurückgenommen.
Trotzdem gibt es eine Gruppe von Polen die sich anscheinend bedroht fühlt und protestieren, entsprechende Bilder sieht man im Fernsehen oder Internet.
Das vor einigen Monaten in Polen gegründete „Komitee zur Verteidigung der Demokratie“ (KOD) ist in meinen Augen eine Farce. Dessen Anhänger treffen sich wöchentlich und organisieren Märsche auf den Straßen polnischer Städte, die Medien – auch die staatlichen – berichten jeweils ausführlich darüber. Die Polizei schützt diese Aufmärsche, die Behörden genehmigen sie jedes Mal und alles hat seine Ordnung. Versuchen Sie mal so einen Marsch in Putins Russland zu organisieren... Da wundert es mich wirklich sehr, wie der deutsche EU-Parlamentspräsident unser Land als „gelenkte Demokratie nach Putins Art“ bezeichnen kann. Dieses Urteil finde ich äußerst ungerecht. Das KOD kann ohne Probleme in Polen funktionieren. Die Demokratie in Polen ist also nicht bedroht. Wo bitte genau soll sie denn gefährdet sein?
Kritiker werden einwerfen, dass der Verfassungsgerichtshof ausgeschaltet wurde und die staatlichen Medien unter die Kontrolle der Regierung gestellt wurden.
Sehen Sie, diese Argumente kann ich nicht nachvollziehen. Das ganze Theater um den Verfassungsgerichtshof ist ein mediales Spektakel sondergleichen. Die vorherige Regierung verkürzte fünf Richtern ihre Amtszeit, um noch deren Nachfolger bestimmen zu können; das allein war schon verfassungswidrig und der ganze folgende Rechtsstreit nur eine Konsequenz dieses ersten Machtmissbrauchs. Außerdem wurden die anderen zehn Richter noch von der vorherigen Regierung ernannt, insofern wird der Verfassungsgerichtshof immer noch von Gegnern der jetzigen Regierung kontrolliert.
In der Tat ist das Lager der Rechtsexperten in Polen gespalten und es herrscht kaum Klarheit um die Situation des Verfassungsgerichtshofs – die entstandene Pattsituation ließe sich wohl am besten durch einen überparteilichen Kompromiss lösen. Der zweite große Vorwurf gegenüber der regierenden Partei PiS („Recht und Gerechtigkeit“) ist allerdings die Kontrolle der staatlichen Medien.
Es stimmt, dass oft darüber gesprochen wird. Allerdings gilt es hier zwei Dinge klarzustellen. Erstens hatte die vorherige Regierung die völlige Kontrolle über die staatlichen Medien. Formal wurden diese nämlich von einem eigenständigen, fünfköpfigen Gremium verwaltet, tatsächlich aber wurden dessen Mitglieder vom Präsidenten, von der Regierung und dem Senat berufen. Dort hatte die ehemalige Regierungspartei PO („Bürgerplattform“) überall Mehrheiten, sodass sie auch die staatlichen Medien lückenlos kontrollierten.
Und zweitens?
Auch in anderen Ländern hat die Politik den größten und entscheidenden Einfluss auf die öffentlich-rechtlichen Medien. Der Stiftungsrat des österreichischen ORF zählt 35 Mitglieder, von denen die meisten von der Regierung bzw. vom Bundeskanzler selbst ernannt werden. Und doch behauptet niemand, dass in Österreich die Demokratie bedroht ist. Außerdem heißen diese Medien ja auch nicht umsonst staatliche Medien.
Unmittelbarer Stein des Anstoßes für unser Gespräch war ein Interview mit dem polnischen Dichter Adam Zagajewski, das im „Tagesspiegel“ erschienen ist. Dort heißt es unter anderem, man habe den Polen ihr Land gestohlen. Sehen Sie das auch so?
Ganz im Gegenteil, diesen Eindruck hatte ich in den letzten acht Jahren, als die liberale PO an der Macht war. In dieser Zeit wurde ich nicht mehr in Sendungen des staatlichen Fernsehens eingeladen, meine Bücher und Bildbände wurden totgeschwiegen. Aber die PO wurde nun mal gewählt und das galt es in einer Demokratie zu akzeptieren. Nun hat sie die Wahl deutlich verloren und muss den Gang in die Opposition antreten. Machtwechsel sind in einer Demokratie nicht nur normal, sondern auch gesund. Wer das als Diebstahl bezeichnet, vergreift sich in der Wortwahl und muss sich selbst fragen, ob er das Wesen der Demokratie überhaupt verstanden hat. Es ist eben nicht nur dann demokratisch, wenn man gewinnt – sondern auch, wenn man verliert.
Adam Zagajewski sagte in dem erwähnten Interview auch, dass sich kein namhafter Künstler „auf Seite“ der PiS stellt. Sie haben viele Bücher veröffentlicht, haben zahlreiche Preise in Großbritannien, Israel, der Schweiz und den USA gewonnen, auf allen Kontinenten Ausstellungen gehabt. Gleichzeitig machen Sie keinen Hehl aus Ihrer Unterstützung für die PiS. Sind Sie demnach nicht namhaft genug?
Darum geht es nicht. Ich kenne Adam Zagajewski gut, wird sind per du miteinander und als in Polen 1981 das Kriegsrecht ausgerufen wurde, haben wir gemeinsam den Bedürftigsten Essenspakete ausgeteilt. Ich respektiere auch sein künstlerisches Schaffen, aber er ist nicht die Stimme aller polnischen Künstler oder Intellektuellen. Es stimmt, die PiS steht mir von allen politischen Parteien am nächsten. Aber es gibt viele Künstler, die das genauso sehen. Man könnte wirklich viele aufzählen, ich nenne hier Jarosław Marek Rymkiewicz, einen der bekanntesten polnischen Dichter der Gegenwart, die Schauspieler Jerzy Zelnik, Halina Łabonarska und Katarzyna Łaniewska, den Schriftsteller Andrzej Pilipiuk, die Regisseure Antoni Krauze und Mariusz Pilis, oder den Kabarettisten Jan Pietrzak. Dies sind bekannte und gute Künstler und man könnte sich noch auf viele andere Namen berufen, daher finde ich die Aussagen von Adam Zagajewski ehrlich gesagt anmaßend. Und ich denke auch, dass ein deutscher Künstler nicht zur polnischen Presse gehen würde, um über Deutschland herzuziehen. Dieser Weg ist falsch.
Im Interview wird Zagajewski auch gefragt warum Polen denn partout keine Flüchtlinge aus dem Nahen Osten aufnehmen möchte. Als Gründe stehen der latente polnische Antisemitismus oder die polnische Provinzialität im Raum. Auf dem Land sehe es in Polen immer noch aus wie im 19. Jahrhundert, so Zagajewski.
In einem Ort von einigen hundert Einwohnern im Süden Polens besitze ich ein Landhaus mit fließendem Wasser, Strom, Telefon und sogar Internetanschluss! Die Leute können alles lesen, wissen was in der Welt passiert und haben Autos. Das muss dann wohl das modernste 19. Jahrhundert der Welt sein... Und wissen Sie warum die meisten deutschen Konzentrationslager nach 1939 im besetzten Gebiet Polens gebaut wurden? Hier wohnten einfach die meisten Juden. Aufgrund der jahrhundertelangen, toleranten Haltung Polens haben sich hier besonders viele Juden angesiedelt. Während anderswo Pogrome veranstaltet wurden, machten Juden in Polen Karriere in der Verwaltung oder an den Universitäten. Der Antisemitismus ist nicht in Polen entstanden.
Dennoch ist es eine Tatsache, dass die meisten Polen keine Flüchtlinge aufnehmen wollen.
Ja, und das mit Recht, wie ich meine. Die erste und wichtigste Verantwortung eines Staates gilt doch dessen eigenen Bürgern. Fakt ist jedoch, dass wir nicht wissen, wer nach Europa kommt und unsere Außengrenzen nicht mehr geschützt sind. Momentan will doch niemand mehr in Europa Flüchtlinge aufnehmen und jene Länder, die schon welche aufgenommen haben, wollen sie nun wieder zurückschicken. Aber wohin? Nach Hause? Nein, nach Polen. Aber diese Flüchtlinge wollen nicht nach Polen, denn unsere Sozialleistungen sind viel niedriger. Wir Polen möchten nicht, dass diese Menschen unter Zwang zu uns kommen. Ich bin der Meinung, dass den Flüchtlingen in ihren Ländern geholfen werden muss, nicht in Deutschland oder Polen. Andernfalls bleiben in den Staaten des Nahen Ostens nur Alte, wehrlose Kinder und Frauen zurück. Somit werden diese Länder aufhören zu existieren. Alle Kräfte sollten darauf verwendet werden, um den Krieg sofort zu stoppen und diese Staaten wiederaufzubauen. Außerdem zeigen die Ereignisse der Kölner Silvesternacht und der letzten Wochen in Sachsen, wie angespannt die Lage ist und wie groß die kulturellen Unterschiede sind. Man spricht so oft von den europäischen Werten, aber das sind doch im Grunde die christlichen Werte. Und die lassen sich oft nur schwer mit dem muslimischen Weltbild vereinbaren.
Das Gespräch führte Adam Sosnowski.
Adam Bujak ist einer der bekanntesten Fotografen Polens. Er spezialisiert sich in stimmungsvollen Landschaftsaufnahmen und Bildern der polnischen Architektur. Mehr als 40 Jahre lang begleitete er Karol Wojtyła, den späteren Papst Johannes Paul II., mit seinem Fotoapparat. Bujak ist Preisträger vieler internationaler Auszeichnungen und veröffentlichte in seiner Laufbahn bis jetzt über 130 Bücher.
Er arbeitet mit den Verlagen Biały Kruk (Polen), Harper and Row, Life Magazine (USA), Herder (Deutschland) und Styria (Österreich) zusammen.
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